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Die stille Erhabenheit des Sommers

Samstagmorgen. Ich sitze mit einer Tasse Heißgetränk auf der Terrasse und lasse mich von den sanften Strahlen der Frühsommersonne kitzeln. Sie zaubern mir durch die geschlossenen Augenlider hindurch Bilder von Strand und Meer direkt in meinen Kopf.

„Klirr“.

Es ist wieder soweit. In Nachbars Garten höre ich die Sektgläser klirren, als zum wiederholten Male auf einen ganz besonderen Moment angestoßen wird. Nachdem Horst von gegenüber schon bewundernden Blickes die Anschaffung des Jahres begutachten durfte und Birgit von drei Häuser weiter aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen wollte, ist es nun an Ulrike, in Ehrfurcht zu erstarren. Doch was versetzt den gesamten Freundes- und erweiterten Bekanntenkreis wohl derart in Ekstase? Schwangerschaft? Lottogewinn? Die Weltformel? Fast. Nur noch besser! Er war aber auch ein Schnäppchen, der neue Whirlpool, der neuerdings die frisch gekärcherte Terrasse mit seiner epochalen Präsenz bereichern darf.

 „Er heizt 2 Grad pro Stunde hoch.“ – „Wenn wir drin sitzen, ziehen wir die Seitenmarkisen zu – wär ja noch schöner, wenn der uns von oben hier reinguckt!“ – „Für zwei Personen perfekt, mit drei auch noch ok, zu viert wird es schon ein bisschen eng. Fünf Personen passen auf gar keinen Fall rein.“

Nachdem Ulrike wieder gegangen ist, beeindruckt und auch ein wenig neidisch auf das Dolce Vita der Bekanntschaft, gönnen sich Mario und Helene eine Runde Entspannung im wohltemperierten, für zwei Personen perfekt dimensionierten Badezuber.

„BBBBBrrrrrrrrrrrrr… Tschschschschsch…“

Die Pumpe leistet ambitioniert und gleichsam lautstark ihre Arbeit, die Blubberblasen blubbern als gäbe es kein Morgen. Übertönt wird das Ganze nur noch vom Gespräch der beiden Einsitzenden, die es sich nicht nehmen lassen, über die gewaltige Geräuschkulisse hinweg betont gut gelaunt ihrer Freude sprachlichen Ausdruck zu verleihen.

Ich ziehe es vor, das Heißgetränk im Innenbereich einzunehmen.

+

Einige Nächte später. Der Sommer kommt mit Riesenschritten näher und ich öffne das Fenster, um die nächtliche Kühle hereinzulassen. Doch sie ist nicht allein, denn mit ihr kommt ein mir unbekanntes Brummen, ein Sirren, eine Art verheißungsvolles Summen, welches sich wie eine samtweiche Decke über das Neubaugebiet legt und es wohlig irritierend in sich einhüllt. Als diese Decke auch noch  am nächsten Morgen über mir und dem gesamten Viertel liegt, mache ich mich neugierig auf die Suche nach ihrer Quelle. Wenige Häuser weiter werde ich schnell fündig: Ein kompakter Generator treibt eine Pumpe an, welche eine Art Plastikkuppel sowohl mit Standkraft als auch mit Frischluft versorgt, unter der sich sozusagen in seiner eigenen Atmosphäre dahin gärend ein beeindruckender Gartenpool dem neugierigen Passanten aufdringlich präsentiert. Wohnt hier nicht Birgit?

Amüsiert mache ich mich auf den Rückweg, als ich das Dröhnen eines gewaltigen Dieselmotors vernehme. Eine Sekunde später verdunkelt sich die Sonne. Verwundert blicke ich in den Himmel und sehe etwas Großes, Klobiges über mich hinweg schweben. Der Dieselmotor gehört offensichtlich zu einem Schwerlastkran, dessen Aufgabe es zu sein scheint, das Große, Klobige über die Hecken hinweg direkt in den Gartenbereich von Nummer 38 schweben zu lassen. Das Große, Klobige entpuppt sich schnell als großer Bruder des mir wohl bekannten Whirlpools von nebenan – nur dass hier fünf Personen problemlos Platz finden würden. Sie könnten sogar noch Freunde mitbringen. Mit stolz geschwellter Brust steht auch Horst auf der Straße und sieht andächtig dabei zu, wie sein explizites Statement langsam zu Boden gelassen wird.

Ein beißender Geruch wird die kommenden Tage den vielen poollosen Menschen der Straße davon berichten, dass dieses Gerät nicht nur zum Anschauen, sondern zum Benutzen angeschafft wurde. Und dass es gar nicht so einfach ist, die richtige Dosierung des Chlormittels auszutüfteln.

+

Zwei Wochen später kommt der Sommer langsam auf Hochtouren. Und mit ihm kommen die Bagger.

Irgendwo an der Hauptstraße – man munkelt, es wäre bei Ulrike gewesen, so ganz genau kann man das hinterher aber nicht mehr sagen – beißt die große Schaufel gierig in die Grasnarbe und reißt gewaltige Mengen Material aus dem Boden. Eine Wasser-Erlebniswelt benötigt nun mal Platz. Ich nippe an meinem Heißgetränk.

„Klirr“.

Die Scheiben der direkt benachbarten Häuser halten der gewaltigen Druckwelle nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde stand, als der Stahl der Baggerschaufel die längst vergessene Weltkriegsbombe touchiert.

Als die ersten Sonnenstrahlen sich durch die langsam verwehenden Wolken aus Asche und Staub brechen, hat sich etwas im Neubaugebiet gewaltig verändert. Ich schließe lächelnd die Augen und nehme einen kräftigen Schluck Heißgetränk.

Endlich Ruhe!

+

*Diese frei erfunden anmutende Geschichte ist ein Tatsachenbericht. Lediglich die Namen der beteiligten Personen wurden zu deren Schutz geändert – und möglicherweise hat sich der Autor die Freiheit genommen, den zeitlichen wie auch kausalen Zusammenhang der Ereignisse etwas zu modifizieren.

Ach so – das mit der Weltkriegsbombe ist dann aber doch frei erfunden.

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