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Schwarzbunt sind die Kühe

Hi. Ich bin Paul. „Paul“ war damals eine echte Glanzleistung meiner Eltern. Also die Namenswahl. So hieß nämlich mein Opa, der kurz vor meiner Geburt gestorben ist. Hab ihn nie kennengelernt, den Opa. Mütterlicherseits.

Bei genauerer Betrachtung hab ich es aber noch ganz gut erwischt – mein anderer Opa heißt nämlich Günther. Der ist noch am Leben und auch ziemlich fit. Und manchmal ist er der einzige in meiner Familie, den ich nicht zum Kotzen finde. Vielleicht, weil er mich noch nie wegen meiner Klamotten, meiner Musik oder meiner Haare genervt hat. Opa Günther hat das irgendwie nie interessiert. Ich helfe ihm manchmal auf dem Hof, da hab ich gar kein Problem damit. Also mit dem ganzen Mist – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich mag sie sogar, die schwarzweißen Kühe. „Schwarzbunt sind die Kühe“, höre ich Opa Günther dann immer sagen. Da legt er Wert drauf. Aber die grünen Latzhosen, die zieh ich nicht an. Hab ich nie gemacht, werd ich auch nicht. Da sind mir meine schwarzen Sachen und die Springerstiefel deutlich lieber.

Ach so, das hätte ich vielleicht gleich erzählen sollen: Ich bin ein Grufti. Ich höre dunkle Musik, schreibe Gedichte über den Tod und interessiere mich nicht so richtig für das, was in der Welt so vor sich geht. Warum sollte mich der ganze Scheiß aber auch interessieren?

Dass ich damit in unserem Dorf eine Sensation und manchem ein Dorn im Auge bin, erklärt sich wohl von selbst. Würde ich in Wacken leben – vielleicht wär das dann anders. Dann würde ich sicher als der „Heavy-Metal-Typ von nebenan“ durchgehen bei den sogenannten normalen Leuten. Aber ich lebe nicht in Wacken, sondern in Schlesmühl. Das ist auch hoch im Norden. Und es ist auch ein kleines Dorf mit deutlich mehr Kühen als Einwohnern, vielen Klinkerhäuschen und genauso vielen Bauernhöfen. Eigentlich fast so wie Wacken – nur eben ohne Heavy Metal Festival. Dafür aber mit einem kleinen Supermarkt, der das ganze Jahr geöffnet hat und einer Bäckerei mit kleinem Café auf dem Dorfplatz. Also Dorfplatz klingt jetzt auch größer als es ist – da steht halt die schöne Backsteinkirche in der Mitte des Dorfes und da ist auch der alte Friedhof mit seinen efeubewachsenen Mauern. Und dann die zwei, drei kleineren Läden, die man als Tourist hier wohl so erwartet. Krimskrams, Zeitschriften, Strandutensilien, Fisch. Sowas halt. Und vorne auf dem Platz stehen dann eben die Stühle, Tische und Sonnenschirme von Bäcker Janßen.

Ich sitze dort manchmal und trinke einen Cappuccino. Oder eine Latte Macchiato. Auf jeden Fall irgendetwas neumodisches, was die alte Oma Janßen die Augen verdrehen lässt. Für sie gibt es nämlich nur Kaffee. Schwarz. Frisch durch den Filter getropft. Aber zum Glück hat ihr Sohn, dem jetzt die Bäckerei gehört, irgendwann mal eine sündhaft teure Gastronomiemaschine angeschafft, die auch solch exotische Getränke aus fernen Ländern zubereiten kann.

Wenn ich da so sitze, dann höre ich die Linden rauschen, die rund um den Platz stehen und ich kann die alten Grabsteine auf dem Friedhof durch das schmiedeeiserne Tor sehen. Manchmal mache ich dort, also auf dem Friedhof, auch Spaziergänge. Das mache ich sogar extrem gerne. Man sollte das aber als Grufti auf dem Land nicht übertreiben. Das gibt nur noch mehr Gerede.

Im Sommer sind viele Touristen im Dorf. Die machen dann „Ferien auf dem Bauernhof“. Dann ist das Café voller und ich falle zwischen all den verschiedenen Menschen nicht so sehr auf. Fühle mich nicht wie ein Aussätziger, nur weil ich meine Haare lang und schwarz trage und bei der Auswahl meiner Klamotten eine etwas eingeschränkte Farbskala bevorzuge. Naja, um ehrlich zu sein: Ich bin in allem etwas toleranter und flexibler geworden in der letzten Zeit. Das hat natürlich wegen ihr angefangen – war ja klar, dass eine Frau dahinter steckt. Oder was hattet ihr erwartet?

Begonnen hat alles in der Schule. Wenige Wochen nach den Sommerferien – da war ich gerade exakt 17,5 Jahre alt geworden. Also eigentlich schon so gut wie erwachsen, aber noch ohne jegliche Rechte sozusagen. Und weil ich meinen 18. Geburtstag kaum erwarten kann, weiß ich auch auf die Dezimale genau mein aktuelles Alter. Ist vielleicht ein merkwürdiger Tick von mir. Nächstes Jahr werde ich jedenfalls 18,0 und kann dann endlich meine Unabhängigkeit feiern. Das ganze Geburtstagsgeld werd ich in mein Tattooschwein stecken. Ich spare nämlich auf mein erstes Tattoo. Ich zähle die Tage rückwärts, bis ich das endlich selbst entscheiden darf. Ein paar Euro fehlen noch. Ich bin halt nur Schüler, dazu überdurchschnittlich faul und mit nur durchschnittlich gut situierten Eltern gesegnet. Komplett untätowierten Eltern, um genau zu sein. Eltern also, die auch ein komplett untätowiertes Kind bevorzugen würden. Also muss ich alles selbst sparen und eben noch die paar Monate abwarten.

Aber ich wollte eigentlich vom Herbst erzählen. Und das mache ich jetzt auch:

Das Schuljahr hatte schon eine ganze Weile angefangen. Der Spätsommer ging langsam in den Herbst über und die Blätter der Bäume im Schulhof hatten schon begonnen, sich bunt zu färben. Ich gehe auf das Gymnasium in Werderstedt – bei uns gibt es natürlich kein Gymnasium. Da muss ich schon eine ordentliche Strecke mit dem Bus fahren. Später kann ich die Fahrt ja vielleicht mal mit dem Auto zurücklegen – aber um ehrlich zu sein, ich bin etwas hinten dran mit meinen Fahrstunden. Und wo ich ein Auto herkriegen soll, das weiß ich momentan auch noch nicht. Mein Tattoogeld opfere ich bestimmt nicht dafür…

Ich saß also recht entspannt im Mathematikunterricht und dachte über einige Reime meines neuen Dichtkunst-Werkes nach, als die Tür aufging und so eine rothaarige Hexe herein tanzte – entschuldigt bitte meine Ausdrucksweise, aber so habe ich sie damals halt gesehen. Das hat sich inzwischen geändert. Man könnte sogar sagen, sie ist heute sowas wie meine Freundin. Irgendwie. Wir haben das noch nicht so im Detail geklärt.

Aber egal – auf jeden Fall war es ein weiter Weg bis dahin. Erstmal war sie einfach nur eine kleine, nervige, rothaarige Hexe in bunten Klamotten, die mitten im Schuljahr hereinspaziert kam und als Neuzugezogene in unsere Klasse gesteckt wurde. Ist es notwendig zu erwähnen, dass der einzige freie Platz neben mir zu finden war?

Und da stand sie dann also, hat ihre Sachen abgestellt und sich auf den Stuhl neben mir gesetzt. Ich hab sie kurz angeschaut und ihr zugenickt. Mehr war damals echt nicht drin. Ich hab dann gleich wieder weg und aus dem Fenster geschaut. Und so hätte es meiner Meinung nach auch einfach weitergehen können.

„Und du?“

Ich bin zu Tode erschrocken in dem Moment und hab zu ihr rüber geschaut.

„Was meinst du?“ hab ich gefragt.

„Wie du heißt. Ich bin Sophie. Und du?“

Sie hat mich angelächelt. Das hat mich gleich schon mal irritiert. Man ist normalerweise nicht einfach nett zu mir. Schon gar nicht, wenn man mich nicht kennt.

„Paul“, hab ich gesagt. Und dann wieder aus dem Fenster geschaut.

„Freut mich, Paul. Dann sehen wir uns jetzt also öfter“, hat sie geantwortet und leise in sich hinein gekichert.

„Lieber Gott, bitte lass sie doch einfach schweigen“, hab ich nur bei mir gedacht. Aber geschwiegen hat sie relativ wenig an dem Tag. Von den Formeln und Gleichungen an der Tafel hab ich wenig mitbekommen. Dafür wusste ich am Ende dieser Unterrichtsstunde so gut wie alles über Sophie. Dass ihre Eltern hergezogen waren und jetzt in einem „Minihaus“ wohnen, das nur so groß ist wie ein Wohnwagen, aber auf einem riesigen Grundstück mit nem Haufen Bäumen und Büschen steht. Natürlich mit Strom und allem. Aber halt winzig klein. So klein, dass Sophie ihr Zimmer in einem eigenen „Mini-Mini-Haus“ neben dem „Maxi-Mini-Haus“ ihrer Eltern hat.

Ich gebe ja zu, ein bisschen spannend fand ich das schon damals. Und Sophie hat irgendwann später auch mal zugegeben, dass sie nur so viel geredet hat, weil sie unwahrscheinlich nervös gewesen war. Neue Leute, neues Leben und so.

Ihre Eltern sind so etwas Ähnliches wie Aussteiger. Aber auch nur so halb. Haben wohl ein bisschen was geerbt, davon Grundstück und Häuser bezahlt, sind jetzt schuldenfrei aber auch chronisch ohne Kohle. Brauchen aber wohl auch nicht viel. Bauen viel Gemüse selbst an und so. Ihr Vater ist auch ein geschickter Handwerker. Repariert mal hier und dort was auf den alten Höfen hier in der Gegend und bekommt dann Kartoffeln, Eier oder einen Sack Getreide dafür.

Was ihre Mutter so genau macht hab ich noch nicht ganz kapiert. Lebensberatung auf ganzheitlicher Basis wohl. Was auch immer.

Kommen wir aber zurück zu dieser schicksalhaften Mathematikstunde: Was hab ich mich damals gefreut, als der Gong das Ende der Stunde verkündete und damit ein Zimmerwechsel in den Chemiesaal anstand. Sie hat sich aber selbstverständlich an meine Fersen geheftet. Und wieder neben mich gesetzt. Und weiter erzählt. Gut, hab ich gedacht, nach der Schule wenigstens, da fahren wir sicher in unterschiedlichen Bussen davon und dann hätte ich genug Zeit, bis zum nächsten Tag mein Bündel zu packen, auf einem Schiff an der nahen Küste anzuheuern und sehr weit weg zu fahren.

Tja, das hatte ich gedacht, aber sie ist natürlich in den gleichen Bus eingestiegen. Und, wie sollte es auch anders sein, in unserem Dorf ausgestiegen. Haben ihre Eltern doch tatsächlich an unserem Dorfrand dieses riesige Grundstück gekauft. Warum hier? Warum nicht in Wacken?

Auf jeden Fall war ich wohl langsam ziemlich muffelig geworden. Also muffeliger als sonst und auch so muffelig, dass Sophie das gemerkt hat und gefragt hat, was los ist. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, aber irgendwas Blödes muss es wohl gewesen sein. Sie ist nämlich ziemlich beleidigt abgezogen.

Und am nächsten Tag in der Schule hat sie nicht mehr so viel geredet. Eigentlich gar nichts mehr. Sie ist zwar noch neben mir gesessen, aber auch nur im Klassenzimmer. In Chemie und Physik hat sie sich andere Plätze gesucht. Neben irgendwelchen aufgedonnerten Dorfschnepfen, die sich die ganze Zeit über die neuesten Schminkprodukte unterhalten haben. Diese Kategorie kennt ihr sicher auch. Aber die Schnepfen haben nicht mit ihr geredet und sie auch nicht mit ihnen. Vielleicht hab ich‘s mir eingebildet, aber ich glaube, die haben damals auch ganz offen über Sophie hergezogen. Haben sich für was Besseres gehalten. Naja, Sophie sieht halt schon anders aus als alle anderen Mädchen in ihrem Alter. Sie macht sich nichts aus topaktuellen Klamotten und Schminke und so. Braucht sie auch nicht, sie ist ganz ohne eh am schönsten. Also ohne Schminke – wie das ohne Klamotten ist weiß ich leider noch nicht. Und dass ich sie überhaupt mal hübsch finden könnte hab ich damals auch nicht im Entferntesten vermutet.

Aber ein bisschen leid hat sie mir getan. Sie hat eben auch nicht so richtig reingepasst hier. Genau wie ich. Aber ich hab‘s mir ja schließlich selbst ausgesucht und komme ziemlich gut damit klar. Sophie hätte gerne sofort neue Freunde gefunden. Aber damals war sie halt einfach nur die kleine rothaarige Hexe für alle. Für manche ist sie das immer noch. Aber inzwischen ist es ihr auch egal. Hat sie von mir gelernt!

Aber eigentlich wollte ich nicht nur von mir und von Sophie erzählen. Sondern von dem, was wir erlebt haben. War schon eine krasse Geschichte. Hat recht harmlos angefangen mit einer Leiche. Ja, gut – Leiche und harmlos. Wie passt das zusammen? Ganz einfach: Die alte Frau Petersen in dem verwahrlosten Haus am Ortsrand, gar nicht weit von Sophies neuem Zuhause, mit den hohen, dichten Hecken außen rum, die ist gestorben. Sie war aber auch schon uralt. Ihr Mann ist schon vor vielen Jahren gestorben, als ich noch ein kleiner Junge war. Seitdem ist die Alte immer wunderlicher geworden. Das Haus ist mit der Zeit verwahrlost, die Hecken sind immer höher und dichter geworden, die Frau hat sich immer seltener blicken lassen. Natürlich war sie dann irgendwann als Hexe verschrien bei den Kindern. Wir haben uns an ihrem Haus nicht vorbei getraut, haben die Straßenseite gewechselt und so. Das übliche halt. Haus ist übrigens auch nicht ganz richtig – Villa trifft es eher! Bei uns im Dorf und in der Umgebung kennt jeder die „Villa Petersen“. Später dann, als wir älter waren, haben wir auch mal versucht, als Mutprobe auf das Grundstück zu kommen. Aber wir haben‘s nicht geschafft. Haben uns dafür fast in die Hosen gemacht. Hat natürlich keiner zugegeben.

Jedenfalls, am Freitag nach Sophies „Erscheinen“ waren wir mal wieder auf der Heimfahrt im Bus. Sophie irgendwo im Bus und ich ganz anders irgendwo. Aber wir müssen ja zusammen aussteigen – wir sind die einzigen in unserem Alter hier momentan. Es wachsen nicht so viele Schlesmühler nach heutzutage. Und ganz viele Familien meiner alten Freunde sind aus beruflichen Gründen weggezogen. So ist das auf dem Land manchmal. Jedenfalls steigen wir also gemeinsam aus, nicken uns kurz und emotionslos zu und wollen in entgegengesetzte Richtungen losstiefeln, als wir das Blaulicht durch die Bäume schimmern sehen. Das hat unsere Aufmerksamkeit erregt. Wir sind dann in gebührendem Abstand zueinander da hin gelaufen. Naja, was soll ich sagen. Kranken- und Notarztwagen, das Auto vom Pflegedienst, Sanitäter, grünhaarige Pflegerin, alle in Weiß und Signalorange. So ein bisschen wie bei E.T., als die ganzen Regierungstypen anrücken. Nur eben in Weiß und Neon. Aber genauso fremdartig in unserer idyllischen Dorfwelt. Sie haben die alte Dame jedenfalls auf einer Bahre rausgefahren und in den Rettungswagen geschoben. Da hat sie noch gelebt.

Als sie mich gesehen hat, da hat sie mich mit großen Augen angeschaut und was gebrabbelt, was ich als „Bruno, Bruno“ verstanden habe. Fand ich ziemlich spooky, hab der Sache aber keine große Bedeutung beigemessen. Hätte ich natürlich machen sollen, aber hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer. Sophie stand auch dabei. Sie fand das ganz und gar nicht spooky sondern nur unendlich traurig und tragisch.

„Die arme alte Frau. Hat sie denn niemanden mehr? Muss sie alleine sterben? Wie schrecklich. Die Arme. Findest du nicht auch? Ist das nicht schlimm, wenn sich niemand mehr an einen erinnert? Sie war ja nicht schon immer alt. Hat doch sicher Familie oder so. Ach Mann, das ist so schlimm. Ob ich wohl mitfahren kann, dass sie nicht so alleine ist?“

Ich weiß nicht, ob es eine Frage an mich war, aber eine Antwort hat sie auch gar nicht abgewartet. Sophie ist tatsächlich zu den Sanitätern und der Pflegerin vom Pflegedienst hingerannt und wollte mit ins Krankenhaus fahren. Die haben sie aber ganz schön heftig weggedrückt und fanden die Idee offensichtlich gar nicht gut. War irgendwo auf so eine fiese Art und Weise ganz lustig, wie Sophie da sprichwörtlich gegen die Wand gelaufen ist. Ich hab ein bisschen gegrinst.

Aber als der Krankenwagen und alle anderen dann losgefahren waren und Sophie so alleine auf der Straße stand und hinterher geschaut hat, da hat sie mir schon wieder leid getan. Also nur so lange bis sie sich umgedreht hat, an mir vorbeigestiefelt ist und „Was glotzt du so!“ gemotzt hat. Da ging‘s dann wieder mit dem Leidtun.

Ich bin direkt heimgegangen, hab meine Schulsachen in die Ecke gepfeffert, mir ein anderes schwarzes Hemd angezogen und mich nach einem kurzen Nachmittagsschläfchen erstmal ins Café gesetzt, um das Wochenende gebührend zu begrüßen.

„Was darf’s sein?“ sprach mich eine Stimme von hinten an. Die Antwort auf den Lippen wusste ich: Da stimmt was nicht! Ich hab mich umgedreht und in ein sommerbesprosstes Gesicht unter einem roten Lockenschopf geblickt, das mich immer noch motzig angesehen hat.

„Äh, hallo. Sophie. Was machst du hier?“ hab ich ganz blöd gefragt, weil ich kurz vergessen hatte, was ich trinken wollte.

„Ich arbeite hier. Oder wonach könnte das hier sonst aussehen? Frau Janßen geht’s nicht so gut“, hat sie geantwortet.

„Ah, schön“, hab ich gesagt. Und dann ist mir wieder eingefallen, was ich trinken wollte. „Ne Latte Macchiato. Bitte.“

„Gerne. Und es heißt: Ma“ck“iato – nicht Ma“tsch“iato. Nur so nebenbei“, sprach sie und zog ab.

„Sie hat sich in mein Café eingeschlichen!“ hab ich so bei mir gedacht. Der alte Krämers saß am Nebentisch mit seinen beiden Rentnerkumpels. Sie haben gegrinst. Ich hab zurück gelächelt. Das mach ich manchmal. Erwarten die Leute nicht von mir. Das verunsichert sie. Ist lustig! Aber beim alten Krämers zieht das nicht.

„Na, wie heißt denn deine kleine Freundin?“ hat er gefragt.

„Sophie“, hab ich gesagt. Dann ist es mir aufgefallen: „Aber sie ist nicht meine Freundin! Ganz und gar nicht!“

Das Rentertrio hat nur leise gelacht und sich wieder wichtigeren Themen gewidmet.

„Hier, deine Latte Ma“ck“iato!“ Sophie stellte mir das Glas auf den Tisch. „Aber du solltest weniger Kaffee trinken. Versuchs doch mal mit Früchtetee!“

Ein weiteres Lachen vom Trio des Grauens am Nebentisch.

„Gibt’s hier nicht – ist nur Schwarztee auf der Karte!“ hab ich gesagt. Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen.

„Na, dann wird’s ja Zeit!“ sagte Sophie triumphierend. „Darf’s noch irgendwas sein?“

„Ja, ein Stück Apfelstreusel. Mit Sahne. Bitte.“

„Pff, Zucker und Weißmehl. Wie ihr hier so lange überleben konntet ist mir ein Rätsel!“ sagte sie, drehte sich um und ging. Jetzt war selbst das Rentertrio baff.

Einen Tag später, am Samstag, hab ich dann im Schaukasten der Kirche die Todesanzeige gesehen: „Leni Petersen, Kreuz, Geburtsdatum, Sterbedatum, Beerdigungstag.“ Das ist also die letzte Pressemeldung, das, was am Ende bleibt. Die alte Dame ist wohl noch auf der Fahrt ins Krankenhaus gestorben, wie man sich erzählt. Tja, was soll ich sagen. Find ich natürlich auch nicht schön. Ganz ehrlich. Aber irgendwie hat mich in dem Moment ein ganz anderer Gedanke viel mehr beschäftigt:

Wenn da jetzt niemand mehr drin ist, dann könnte man doch endlich mal die längst überfällige Mutprobe nachholen und sich dort vor Ort umschauen. Auf dem Grundstück und im Haus. Sowas fand ich schon immer sehr spannend. Und was sollte ich auch sonst am Wochenende machen? Die anderen Jugendlichen aus den umliegenden Dörfern treffen sich gerne abends in Werderstedt und hängen dort rum. Manchmal schaffen sie es auch bis Mitternacht in eine der kleinen Kneipen oder Discos auf der Hauptstraße. Aber das ist nicht so meine Sache. Und schon gar nicht meine Musik.

Nee, dann lieber einen gemütlichen Nachmittag im Café und am Abend den Einsatzrucksack packen und auf große Erkundungstour gehen. Dieses merkwürdige Hobby haben inzwischen übrigens so viele Menschen, dass es sogar einen eigenen Namen hat und das Internet vor Erfahrungsberichten, Fotoblogs und Foren überquillt. Urban Exploration – kurz Urbex genannt. Ich hab ja auch meinen eigenen kleinen Blog zu diesem Thema. Der interessiert nur noch nicht so viele Menschen – aber das kann ja noch werden!

„Na, heute mal einen Früchtetee?“ Sophie war wieder da. Ich hatte mich in der Hoffnung ins Café gesetzt, dass Sophie Familie Janßen vielleicht schon so arg auf den Geist gegangen war, dass sie sie gefeuert hatten. Hatten sie aber nicht. Eher im Gegenteil. Denn jetzt fiel mir auf, dass da etwas Neues auf den Tischen lag – neben den alten abgegriffenen Getränkekarten lagen jetzt auf aufdringlich fröhlich-buntem Papier handschriftliche „Teekarten“, mit vielen Schnörkeln und Blümchen und Herzchen verziert. Ich musste schlucken.

„Oder einen ayurvedischen Wohlfühltee?“

Ich schaute sie nur unbeholfen an. Das schien ihr zu gefallen.

„Oder die besondere Empfehlung des Hauses: Unser Sonnenscheintee mit frischer, handgepflückter Minze!“ Sie legte den Kopf zur Seite und sah mich an. Vielleicht war es dieser Moment, der sie mir in einem völlig neuen Licht erscheinen ließ. Aber ihre Haare fielen auch so unwahrscheinlich sexy in ihr Gesicht und die Sonne schien von hinten durch ihre Locken und so. Ich konnte sicherlich nichts dafür, vielleicht hat sie mich auch verhext, auf jeden Fall hörte ich mich sagen:

„Ja, den Sonnenscheintee. Den würd ich mal nehmen!“

„Gerne!“

Ich sah mich um. Der alte Krämers saß ein paar Tische weiter. Heute war er alleine. Und er schnupperte gerade mit misstrauischem Blick an seinem Sonnenscheintee. Er schaute herüber. Diesmal grinste ich ihn an.

„Na, heute mal was Neues ausprobieren?“

Er winkte nur ab. Und ich war aus unerfindlichen Gründen einfach nur gut drauf.

„Hier, eine kleiner Gruß des Hauses – die sind neu bei uns. Vollkornmuffins. Ganz ohne Zucker, nur mit Honig gebacken!“

Sie stellte Tee und Muffin auf meinen Tisch. Krämers bekam auch einen Vollkornmuffin präsentiert. Das überforderte ihn wohl ein wenig, denn er fuhr sich mit der Hand aufgeregt durch die Haare und sah Sophie hilfesuchend hinterher. Dann sah er, dass ich rüberschaute, nahm seine Hand vom Kopf und setze sich aufrecht auf seinen Stuhl und starrte den Muffin an. Nein, heute konnte nichts mehr meine gute Laune dämpfen!

In den Rucksack hab ich am Abend zwei Taschenlampen gepackt, die Stirnlampe zusätzlich aufgesetzt, eine Flasche Wasser dazu, Handy und Multifunktionsmesser. Den Fotoapparat habe ich mir umgehängt und los ging‘s. An schwarzen, einsatztauglichen Klamotten hat es mir logischerweise auch nicht gemangelt. Also bin ich, ohne großes Aufsehen und unnötige Fragen zu riskieren, an den Eltern vorbeigeschlichen, die sich in klassischer Spießermanier „Wetten dass?“ angeschaut haben. Über die verlassenen Straßen bin ich dann bis zum Ortsrand geschlichen, die wenigen Straßenlaternen umschiffend direkt zur hohen Hecke, die mich von einem aufregenden Urbex-Abenteuer trennte.

Selbiges begann dann erstmal so, wie jedes Urbexabenteuer beginnt: Lage sondieren. Ein echter Urbexer macht nichts kaputt. Er steigt zwar in Privatbesitz ein – und das ist nunmal verboten – aber er respektiert die Seele eines verlassenen Gebäudes. Er nimmt nichts mit außer Fotos und hinterlässt nichts außer Fußabdrücken. Aber erklär das mal der Polizei, wenn du auf frischer Tat ertappt wirst. Deshalb immer zuerst in Ruhe prüfen, ob die Luft auch wirklich rein ist. Soweit ich wusste gab es keine weiteren Verwandten der alten Dame mehr. Opa Günther hatte mir mal ein bisschen was von ihr erzählt. Er kannte sie von früher. Sie und ihr Mann waren einmal hochgeschätzte Persönlichkeiten. Er war der Dorftierarzt gewesen. Ging aber noch in Ruhestand, bevor ich geboren wurde. Und ist ja dann auch bald gestorben. Und dann konnte man wohl dabei zusehen, wie es mit Frau Petersen bergab ging. Ziemlich traurig, da hatte Sophie schon recht. Dass der Verlust ihres Mannes ihr jede Lebensfreude geraubt hat. Bruno. Ja, so hieß ihr Mann. So hatte die Frau auch mich genannt, als sie auf der Trage weggebracht wurde. Und in den letzten Wochen davor hatte man sie wohl auch gelegentlich „Bruno“ rufen hören, jenseits der hohen Ecke, wenn sie irgendwo auf ihrem Grundstück herumgetattert ist. Hat Opa Günther erzählt. Vielleicht hatte sie gemerkt, dass sie ihrem verstorbenen Mann näher kam. Oder vielleicht hat sie ihn gerufen – und er hat sie geholt? Ich halte das alles für möglich. Und ihr könnt mich gerne für verrückt halten. Aber in diesen Sachen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen! Fest stand jedenfalls, dass an diesem Abend keine Menschenseele auf dem Grundstück und im Haus anwesend zu sein schien. Keine lebende Menschenseele zumindest.

Das Hoftor war kein großes Hindernis. Ich hab mir nicht mal die Mühe gemacht, zu prüfen, ob es abgeschlossen war. Es hätte nämlich quietschen können beim Öffnen. Deshalb bin ich einfach drüber geflankt. Nur mit einer Hand abgestützt. War ziemlich stolz darauf. Hat ja aber leider niemand sehen können.

Die Haustür dagegen machte einen sehr soliden Eindruck. Ich hab direkt gesehen, dass ich es nicht schaffen würde, dort einzudringen, ohne was kaputt zu machen. Aber ein echter Urbexer macht eben nichts kaputt. Also hab ich mich einmal komplett ums Haus herum geschlichen. Immer an der Wand entlang. In absoluter Dunkelheit. Gut – nicht ganz! Der Vollmond hat schon einen ganz ordentlichen Schimmer verbreitet, wenn er nicht gerade hinter den Wolken verborgen war. Ich bin ganz ohne Taschenlampe vorgegangen. Das schult das Auge. Und ich war auch nicht sicher, ob man das Licht vielleicht trotz der dichten Hecke von der Straße aus hätte sehen können.

In der Nacht ist es bei uns absolut still. Ab und zu muht mal eine Kuh irgendwo. Aber das wars dann eigentlich auch schon. Und wenn du da so in der Schwärze der Nacht auf einem fremden Grundstück herumschleichst und nur dein eigenes Herz und deinen eigenen Atem hörst – da kanns dir schonmal echt unheimlich werden. Da sieht man dann Schatten, wo keine sind oder sieht Dinge, die nicht da sind. Und jedes Mal, wenn ich um eine Ecke gegangen bin, hab ich gedacht: Jetzt stehst du gleich irgendeiner grotesken Erscheinung Auge in Auge gegenüber, die dich bedrohlich angrinst. Aber nichts davon ist passiert. Logisch. Das ist ja alles nur in deinem Kopf. Nach einer kompletten Runde hatte ich die Lage dann soweit analysiert, dass klar war, dass es nur eine Schwachstelle gab: Den Balkon! Wenn ich mich nicht getäuscht hatte, dann war da der klassische Einbrecherfehler begangen worden: Ein Doppelfenster, von dem eine Hälfte gekippt war.

Ich hab mich also am Balkon hochgezogen – der ist nur so ca. einen Meter über dem Boden. Bin über das Geländer geklettert und hab erstmal wieder kurz beobachtet und gelauscht. Nichts zu sehen und nichts zu hören. Dann bin ich zum Fenster. Glaubt mir – das ist immer der spannendste Augenblick. Kurz davor, in dieses bis vor kurzem noch bewohnte Haus einzudringen, ohne zu wissen, was drinnen auf einen warten würde. Ich habe also meine Hand vorsichtig in den Spalt des gekippten Fensters geschoben und wollte das benachbarte Fenster einfach am Riegel aufmachen. Und da bin ich mächtig erschrocken. Der Hebel stand schon waagrecht – das Fenster war schon auf! Und jetzt konnte ich auch sehen, dass der Krimskrams, der mal auf dem Fensterbrett gestanden hatte heruntergefallen war, als jemand vor mir das Fenster nach innen geöffnet hatte. Man, da ist mir das Herz erst einmal in die Hose gerutscht. Und ich hab mir echt überlegt, ob ich besser abhauen sollte. Da konnte ja sonstwer drin sein. Aber die Neugier hat natürlich gesiegt.

Ich hab das Fenster leise aufgeschoben und bin ich durchgekrochen, habs wieder zugedrückt und erstmal wieder gelauscht. Gehört hab ich nichts. Aber gespürt hab ich was. Dass noch jemand außer mir im Haus war. Also blieben Stirn- und Taschenlampe lieber erstmal dunkel. Das konnte nämlich im entscheidenden Moment mein Vorteil sein. Ich hab gewartet, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ohne Lampe hab ich aber trotzdem nur schemenhaft wahrnehmen können, was um mich herum so los war. Ich stand zuerst im Schlafzimmer. Das Doppelbett konnte ich sehen. Und eine altmodische Schminkecke oder sowas in der Art. Und zwei große, massive Schränke. Dicke Teppiche auf dem Boden. Aber keinerlei Details.

Ich hab mich dann von Zimmer zu Zimmer geschlichen. Und dann hab ich das Geräusch gehört. Es war aus dem Keller gekommen. Warum unheimliche Geräusche immer aus dem Keller kommen müssen könnte mir mal bitte jemand erklären. Ich bin also zur Kellertreppe gegangen und hab einen schwachen Lichtschein gesehen, der sich bewegt hat. Ja, der andere war mit Taschenlampe unterwegs. Ich konnte sehen, wo er war. Aber er konnte nicht wissen, wo ich war. Und dass ich überhaupt da war. Das Licht wurde schwächer, als der andere tiefer in den Keller eingedrungen ist. Ich bin an der Treppe unten angekommen und stand in einem kleinen Flur. Rechts oder links? Links war das Licht verschwunden, da war der andere. Rechts war es also sicherer. Links war es aufregender. Also bin ich, mich leise selbst verfluchend, nach links gegangen. Durch eine Tür, die nur angelehnt war. Hat keinen Mucks von sich gegeben, als ich sie etwas aufgeschoben habe. Es roch muffig in dem Raum. In dem Moment, als ich den Raum betreten hatte, hat sich draußen wohl die Wolkendecke verzogen, denn es wurde plötzlich ein ganz klein bisschen hell. Und da hab ich dann was gesehen, was echt enorm unheimlich war. Da waren Regale an den Wänden. Und die waren voll mit Gläsern. Einmachgläsern. Kirschen und Quitten möchte man meinen. Waren bestimmt auch dabei. Aber in dem einen Regal, da waren keine eingemachten Früchte in den Gläsern. Da haben mich die toten, halb verwesten Augen eines kleinen Ferkels angeglotzt, das in einem großen Glas voller Flüssigkeit rumgeschwommen ist. Beziehungsweise war das Glas wohl mal voll gewesen. Gut die Hälfte der Flüssigkeit war aber offensichtlich über die Jahre verdunstet, ausgelaufen oder sonstwie abhanden gekommen. Der Hintern des Ferkels hat aus der Flüssigkeit herausgeschaut und war fast bis auf die Knochen verwest, der vordere Teil des Ferkels war noch gut erhalten.

In den anderen Gläsern waren kleinere Tiere eingelegt. Und Teile von Tieren. Zumindest hab ich gehofft, dass es Teile von Tieren waren. Gehirne und Eingeweide. Ich hab instinktiv nach dem Fotoapparat gegriffen. Und in dem Moment hab ich das Geräusch gehört. Von der anderen Seite kam ganz eindeutig jemand herein. Und dieser Jemand hatte eine Taschenlampe. Er hat mich sofort bemerkt und mir mitten ins Gesicht geleuchtet. Damit war mein Vorteil natürlich komplett beim Teufel. Aber ich hab sofort den Fotoapparat hochgerissen, den Blitz aktiviert und abgedrückt. Und was soll ich sagen. Das Foto ist noch heute eines meiner Lieblingsfotos von Sophie.

Nachdem wir uns beide von unserem Schrecken erholt hatten, einige Sekunden lang schweigend die Lage für uns selbst analysiert hatten, haben wir uns beide recht schnell wieder in unseren Rollen eingefunden und uns angenervt. Hat mich Sophie doch tatsächlich gefragt:

„Sag mal, schämst du dich gar nicht, hier ungefragt einzudringen?“

Ich hab natürlich geantwortet: „Ähm, mach mal halblang, du bist doch auch hier, oder seh ich Gespenster?“

„Keine Ahnung, ob du Gespenster siehst. Ich bin mit ehrbaren Absichten gekommen und nicht aus Sensationslust“, hat sie gesagt und auf meine Kamera gedeutet. „Ich bin hier, um zu prüfen, ob die Seele der alten Dame den Weg nach draußen gefunden hat, oder ob sie hier noch gefangen ist!“

Sowas muss man erstmal setzen lassen. Ich hab ja gesagt: Das letzte Wort in diesen Dingen ist noch nicht gesprochen. Aber die bestimmte Art und Weise – beziehungsweise bestimmende Art und Weise, mit der Sophie das gesagt hat in diesem Moment… Skurril trifft es nicht im Mindesten! Und wo sie mal so schön in Fahrt war hat sie noch gemeint:

„Du bist ja nur hier, weil du auf den Tod stehst. Weil du dich hier im Haus einer Toten gruseln willst oder so…“

„Wer sagt denn was von gruseln? Ich schau mir halt gerne alte Häuser an, die verlassen sind. Hast du meine Fotos je gesehen? Sind ein paar echt gute dabei. Kannst du auf meinem Blog nachschaun!“

Da hat sie gelacht: „Pah, Blog! Wenn ich sowas schon höre. Meint jeder heutzutage, dass es irgendeinen da draußen interessiert, was du zu Mittag hattest und welches Deo du dir gekauft hast und warum du mal wieder eine Diät machen solltest…“

„Äh, Sophie, ganz ehrlich, du hast keine Ahnung von meinem Blog. Vielleicht solltest du ihn einfach erst mal…“

Weiter bin ich nicht gekommen. Wir haben es beide gleichzeitig gehört. Irgendwo über uns im Haus, da war was. Etwas hat sich dort bewegt. Ist über den Boden gelaufen oder wurde über den Boden gezogen. Und dann haben wir das Geräusch gehört. Ein extrem unheimliches, ganz leises, aber in der Stille der Nacht gut zu hörendes Wimmern – wie das Wehklagen einer gefangenen Seele!

Wir sind beide aus dem Haus gelaufen, so schnell wir konnten. Ich hab die Haustür aufgerissen, Sophie nach draußen rennen lassen, bin dann selbst hinterher gestürzt, zusammen haben wir das entsetzlich quietschende Hoftor aufgestoßen – hab ichs doch gewusst – und sind einfach weiter gerannt. Ich hab erst nach etlichen Metern Spurt gemerkt, dass ich die ganze Zeit neben Sophie hergelaufen bin. Deshalb standen wir dann plötzlich beide ziemlich außer Atem bei ihr zu Hause am Gartentor. Und da hab ich für einen kurzen Moment vergessen, was eigentlich gerade passiert war.

Verdammt, dieser erste Eindruck hat sich eingebrannt. Da standen inmitten unzähliger Obstbäume und Büsche die beiden wohnwagenähnlichen Minihäuschen. Ohne Räder, fest verankert, aber halbrund wie Zirkuswagen. Das Grundstück war durchzogen von kleinen Kieswegen, an deren Rand in regelmäßigen Abständen brennende Gartenfackeln aufgestellt waren und alles romantisch beleuchteten. Aus den Häusern drang schwacher Lichtschein nach draußen. Zwischen den Bäumen waren Ketten aus kleinen Lampions aufgehängt, die alle mit Kerzen beleuchtet waren. Und auf dem Platz vor den beiden Häuschen brannte ein Lagerfeuer, an dem zwei Personen saßen, die ich nur schemenhaft erkennen konnte. Einer der Schemen spielte ziemlich schräg auf einer Mundharmonika, der andere Schemen schwankte leicht im Rhythmus dazu. Dazu roch es nach Kräutern. Nach süßlichen Kräutern. Heute ist mir klar, was das für ein Geruch war. Damals hatte ich einfach nicht damit gerechnet.

„Äh, ja, hier wohne ich also!“ holte mich Sophie zurück in die Wirklichkeit. „Und das sind meine Eltern. Sie machen gerade ihr Samstags-Sit-In. So nennen Sie es, wenn sie sich am Wochenende zukiffen.“

„Ok, krass“, sagte ich. „Und auch schön irgendwie. So friedlich. Apropos friedlich: Die Seele, die du gesucht hast, die ist noch im Haus!“ Ich hab nervös gelacht. „Und du hast ihr nicht den Weg nach draußen gezeigt und ich glaube, die macht uns jetzt ganz schön Ärger! Kann eine Seele eigentlich Ärger machen? So wie Eltern? Ziemlich ärgerlich irgendwie… Apropos ärgerlich und Eltern: Kriegst du jetzt nicht Ärger, wenn du mitten in der Nacht heimkommst?“ Ich musste erstmal tief einatmen nach meinem Redeschwall.

„Pfff, Ärger. Ich bekomme doch keinen Ärger. Ich bin ein selbst bestimmter Mensch und trage die Konsequenzen meiner Handlungen auch selbst. Sagen meine Eltern. Und selbst wenn ich Ärger kriegen sollte – morgen früh hätten sie alles wieder vergessen!“ Leichter Ärger schwang jetzt in ihrer Stimme mit.

„Also ich würde Ärger bekommen“, hab ich gesagt. „Aber wenn ich nachher heimkomme ist meine Mutter längst im Bett und mein Vater schnarcht vor dem Fernseher. Ich bin nämlich mit ziemlich spießigen Eltern gesegnet!“

„Ich würde mir manchmal wünschen, meine Eltern wären etwas spießiger“, sagte Sophie und schaute mit einer Mischung aus Mitleid und Verdruss zu den beiden Gestalten am Lagerfeuer, die inzwischen mit einer Art Zeitlupen-Regentanz begonnen hatten. Wenn mich nicht alles getäuscht hatte, dann haben sie sich dabei auch ausgezogen. Aber das will ich gar nicht so genau wissen.

„Im Ernst?“ hab ich Sophie gefragt. „Mich nervt die Spießigkeit meiner Eltern ziemlich! Meine Mutter schaltet das Programm um, wenn die Unterwäschewerbung zu freizügig wird!“

„Pff…“ Schon wieder dieses „Pff“ von Sophie. „Mal sehn, ob du das immer noch nervig findest, wenn ich dir das hier erzähle: Zu meinem 14. Geburtstag haben sie mit mir ein Ritual vollzogen, das mich in den erwachsenen Kreis der Menschheit aufgenommen hat. Dazu zählt, dass sie mir erklärt haben, welch heilige Rolle die weibliche Sexualität in meinem Leben spielt und wie sehr sie sich darauf freuen, wenn ich ihnen von meinen ersten sexuellen Erfahrungen erzähle. Meine eigenen Eltern! Kein Wunder, dass ich bisher lieber Jungfrau geblieben bin…“

Peinliches Schweigen. Zumindest mir war es peinlich. Sophie hat mich ziemlich ungerührt angeschaut. Vielleicht auch herausfordernd. Keine Ahnung.

„Naja“, hab ich gesagt. „Das klingt auch ziemlich nervig. Muss ich zugeben!“

Wieder peinliches Schweigen. Wir haben uns angeschaut. Sie hat das Schweigen gebrochen:

„Danke, dass du mir die Tür aufgehalten hast!“

Ich hab sie fragend angeschaut.

„Na vorhin, als wir aus dem Haus gerannt sind.“

„Ach so, das meinst du. Gern geschehen. Meine spießige Erziehung lässt mich auch dann nicht im Stich, wenn ich vor einer gefangenen Seele fliehen muss, weißt du!“

Sie hat gelacht, sich eine Strähne aus dem Gesicht gestrichen und gesagt:

„Was machen wir denn jetzt? Gehen wir dahin zurück?“

Ich hab gesagt: „Klar! Wir sind doch viel zu neugierig, richtig? Aber erst morgen Nacht würd ich sagen.“

„Morgen Nacht?“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Bist du sicher? Montag ist Schule!“

„Naja, wenn du lieber spießig früh ins Bett gehen willst…“

„Nee, so spießig will ich nun auch wieder nicht sein. Holst du mich um Mitternacht ab?“

+

Kurz vor Mitternacht, die Nacht von Sonntag auf Montag. Ich musste aufpassen beim Rausschleichen. Meine Eltern waren schon ne Weile im Bett, das Haus war also ganz leise. Beim Fernsehschauen sind sie leichter zu überlisten. Wenn sie schlafen muss ich auf der Hut sein. Ich hab also lieber den Weg aus dem Fenster genommen. Ich kann von da direkt auf das Dach der Garage springen. Das ist mit Gepäck immer etwas heikel, aber eigentlich ganz gut machbar. Dank des Blumengitters an der Wand neben meinem Fenster ist auch der Rückweg einigermaßen gut zu schaffen.

Ich bin dann zügig durchs schlafende Dorf gelaufen, direkt zu Sophies Gartentor. Heute waren keine Fackeln auf dem Grundstück dahinter zu sehen, kein Lagerfeuer brannte und nicht einmal die Lampions leuchteten. Auch das Haus von Sophies Eltern war bereits dunkel. Aus Sophies kleinem Zimmer, oder Haus, oder wie auch immer, drang noch ein schwacher Lichtschein. Der wurde aber gerade gelöscht und ich konnte sehen, wie sich Sophies schlanke Gestalt im Mondlicht über das Grundstück auf mich zubewegte.

„Na, bereit für das Abenteuer?“ begrüßte sie mich gut gelaunt.

Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden, ob ich sie wirklich leiden konnte. Aber ich wollte unbedingt wieder zurück in das Haus – und ich wollte auf keinen Fall alleine zurück in dieses Haus! Also sagte ich nur: „Sowas von!“

Wir sind also relativ still zur alten Villa gegangen. Je näher wir kamen, desto mulmiger wurde mir. Ich denke, wir waren beide aufgeregt und wollten es uns einfach nur nicht anmerken lassen.

„Wie gehen wir rein?“ wollte Sophie wissen.

„Die Tür hab ich gestern hinter mir zugeschmissen. Wir müssen wohl wieder durchs Fenster. Das müsste noch offen sein“, hab ich gesagt.

Also sind wir ums Haus herumgelaufen. Unter dem Balkon hat mich Sophie dann herausfordernd angeschaut. Ich hab aber nicht kapiert, was sie damit sagen wollte.

„Was ist, hilfst du mir hoch?“ Aha, da hatte ich nicht mit gerechnet.

„Klar… Aber gestern bist du doch auch alleine hoch gekommen?!“ Gut, das war nicht die geistreichste Bemerkung, aber die Wahrheit war es schon. Zum Glück war Sophie nicht nach Zickereien.

„Ja, aber da hatte ich auch keine männliche Begleitung dabei. Also los: Räuberleiter!“

Natürlich gehorchte ich sofort. Es war auch nicht das unangenehmste, ihr so nahe zu sein und zu sehen, wie sie ihren Körper an meinem Gesicht vorbei elegant nach oben zog. Sie hat irgendwie nach Erdbeeren gerochen, aber das kann ich mir auch eingebildet haben… Nachdem Sophie oben war, bin ich – selbst ist ja schließlich der Mann – hinterher geklettert.

Oben hat Sophie noch gefragt: „Sag mal, Herr Experte im Einsteigen in verlassene Gebäude – was passiert eigentlich, wenn wir erwischt werden?“

„Hmm“, hab ich gesagt. „Kommt drauf an. Ob Anzeige erstattet wird oder nicht und so. Im Grunde ist das ganze Hausfriedensbruch und somit also eine Straftat. Aber wir sind ja noch minderjährig! Aber – und das ist das wichtigste – uns erwischt schon keiner. Ich hab nämlich keine Lust, das Ganze mit meinen Eltern auszudiskutieren. Die Polizei wär nämlich nicht so das große Problem – meine Eltern dagegen schon!“

„Tja, da siehts bei mir anders aus“, meinte Sophie. „Bei mir wär die Polizei schon ein Problem.“ Sie machte eine Pause. „Nämlich für meine Eltern.“

„Wie meinst du denn das?“

„Na, das Drogenlabor! Wenn die Polizei das entdeckt…“

„Deine Eltern haben ein Drogenlabor?“ hab ich entgeistert gefragt. Aber da hat Sophie schon gegrinst und sich gefreut, dass sie mich mal wieder veräppelt hatte.

„Nee, das haben sie natürlich nicht. Nicht, dass ich wüsste jedenfalls. Aber in der einen oder anderen Buschgruppe auf unseren Grundstück, da hab ich schon mehr als das ein oder andere Mal gemeint, die ein oder andere Hanfpflanze gesehen zu haben…“

„Naja, dann ist ja mal das eine – nicht das andere – ganz klar: Wir werden uns einfach nicht erwischen lassen. Und wenn doch, dann rennen wir ganz schnell weg! Darf ich bitten?“ Mit diesen Worten hab ich das Fenster für sie aufgestoßen, das glücklicherweise noch offen war. Wir konnten ohne Probleme einsteigen. Das ganze wieder komplett ohne Lampen – der fast noch volle Mond tat sein bestes, um uns den Weg zu beleuchten.

„Wo gehen wir als erstes hin?“ fragte Sophie.

„In den Keller. Ich muss diese Gläser fotografieren. Da bin ich gestern nicht mehr dazu gekommen.“

„Aber die Geräusche und das Heulen kamen doch von oben!“ meinte Sophie.

„Ja, stimmt genau. Deshalb will ich ja nach unten. Dass ich meinen unweigerlichen Tod noch ein wenig hinauszögern kann!“

Mit einem verächtlichen Schnauben hat sie mir auf den Hinterkopf gehauen.

„Idiot. Aber wegen mir – erst in den Keller. Und danach geht’s nach oben – klar? Und du kommst mit und wirfst dich selbstlos zwischen sämtliche Gefahren und mich. Einverstanden?“

„Selbstverständlich“, hab ich gesagt. Und ich habs zu dem Zeitpunkt fast schon ehrlich gemeint.

Auf dem Weg in den Keller hab ich schon das ein oder andere Foto geschossen – also einfach mal ins Leere gehalten und abgedrückt. Manchmal kommen dabei ganz witzige Aufnahmen heraus.

Die Kellertreppe hatten wir schnell wieder gefunden. Auch den Durchgangsraum mit den merkwürdigen Einmachgläsern. Ich hab den Blitz an meiner Kamera bereit gemacht und das halb verweste Ferkel, ein Glas mit Augäpfeln, ein anderes mit Gehirnen und Gedärmen und so einige andere abstruse Dinge auf digitalem Fotopapier verewigt. Dabei hab ich den Text für meinen Blogeintrag schon im Geiste vor mir gesehen und auszugsweise leise vor mich hingemurmelt:

„Welch merkwürdige, okkulte oder verbotene Experimente sind hinter diesen dicken Kellermauern wohl unbemerkt von der unbedarften Landbevölkerung von statten gegangen? Wurden damit Geister beschworen, Mischwesen erschaffen oder gar Menschenversuche durchgeführt?“

Sophie hat mich mit schrägem Kopf von der Seite angeschaut und sich geräuspert: „Ähm, du weißt schon, dass der Mann hier Tierarzt war? Das waren bestimmt irgendwelche Präparate von seiner Arbeit. Und Jahrzehnte später, wenn sich keiner drum kümmert, dann sieht das halt so aus – voller Staub, Schmodder und Spinnweben und halb verdunstet. Da ist doch nichts Geheimnisvolles dran!“

Die Tierarztsache hatte ich tatsächlich kurz vergessen gehabt. Konnte ich natürlich nicht zugeben: „Klar weiß ich das. Aber dann liest sich das doch keiner durch. Du kannst aber auch allem das Geheimnisvolle nehmen…“

„Pff… Ausgerechnet ich. Ich sehe überall das Geheimnisvolle. Wahrscheinlich mehr als du. Hast du schonmal so richtig dabei zugesehen, wie eine Biene den Blütenstaub aus einer Sommerblume sammelt, wie ein Schmetterling aus seinem Kokon schlüpft, wie sich zwei Libellen paaren oder wie die kleinen Kaulquappen schlüpfen?“

„Hmm. Was soll das hier werden, Sophie? Dirty Talk oder sowas?“ hab ich gesagt und wollte dabei so ernst wie möglich aussehen, musste aber grinsen. Sophie hat gelacht. Ich bekam wieder einen Klaps auf den Hinterkopf. Aber in ihrem „Idiot“ schwang schon fast etwas liebevolles mit.

„Hast du deine Bilder fertig? Ich will jetzt da hoch!“ Sie hat nach oben gedeutet. Unwillkürlich bin ich ihrem Blick gefolgt und hab auch an die Decke geschaut. In dem Moment haben wir es gehört. Ein leises Rumpeln von oben. Von ganz oben. Aus dem ersten Stock, wenn uns die Geräusche der Nacht nicht getäuscht hatten. Irgendwo da oben war wieder jemand. Oder etwas. Ich hab gesehen, wie Sophie schlucken musste. Ihr Blick blieb jedoch entschlossen. Ich bin einen Schritt auf sie zu, hab in ihre Augen geschaut und gefragt: „Sag mal, kleine Hexe – wenn uns da oben eine verirrte Seele erwartet, was machen wir dann eigentlich mit ihr?“

Sie hat ohne Zögern gemeint: „Na, mit ihr reden natürlich. Und ihr sagen, dass sie tot ist und gehen kann. Oder sie fragen, warum sie noch hier ist. Ob wir was für sie tun können. Geht’s jetzt los?“

Es gibt Momente, da frägt man nicht weiter. Also hab ich genickt und bin einfach mitgegangen. Das heißt, ich bin vorgegangen. Gentleman und so. Auf dem Treppenabsatz im Erdgeschoss haben wir noch einmal gelauscht. Aber da war nichts mehr zu hören. Also sind wir weiter gegangen. Im ersten Stock standen wir auf einer kleinen Galerie, die in einen Flur weiter führte, von dem mehrere Türen abgingen. Sie waren alle geschlossen. Nur eine war angelehnt. Ich hasse das. Du bist dir in so einem Moment sowas von sicher, dass hinter einer der Türen etwas lauert. Aber du weißt nicht, hinter welcher. Und was. Und was es mit dir macht. Meistens jedoch stellst du am Ende dann fest, dass da gar nichts war.

Ich war schon in einigen verlassenen Gebäuden. Naja, um ehrlich zu sein: Es waren vier. So viele gibt es nicht hier in der Umgebung. Und mitten in der Nacht meilenweit mit dem Bus fahren ist auch nicht immer möglich. Da war also einmal das alte Gasthaus im Nachbarort – vor zwölf Jahren geschlossen und seitdem sich selbst überlassen. Und die alte, längst ausgediente Mühle auf halbem Weg zwischen hier und Buschgraben. Ein abgebrannter Bauernhof, wo vom Haupthaus nur noch die Wände standen, die alte Scheune aber recht spannend war. Und dann der alte Bunker im Wald. Aber viel war da auch nicht zu finden – außer Graffiti und Pisse. Eines haben diese ganzen Orte aber gemeinsam: Sie sind schon lange verlassen, halb verfallen und zugewuchert. Vergessen. Da ist es dann einerseits gefährlich, drin rumzulaufen. Aber es fühlt sich auch irgendwie besser an, als in einem Haus, in dem bis vor zwei Tagen noch jemand gelebt hat. Manchmal trifft man in den „Lost Places“ auf Spuren von Landstreichern. Dann muss man aufpassen. Die mögen es nicht, wenn man sich in ihr Revier verirrt.

Auf einen Landstreicher würden wir hier wohl nicht treffen, hab ich noch so bei mir gedacht. Da war Sophie schon an der Tür, die nur angelehnt war und drückte eben diese vorsichtig auf, was die Scharniere mit einem ohrenbetäubenden Quietschen quittierten. Ich hielt den Atem an. Und dann sah ich die Gestalt.

Sophie war noch auf die Tür konzentriert, aber ich stand im Gang und konnte direkt an ihr vorbei in das Zimmer sehen. Die Umrisse einer großen Gestalt in einer Art Umhang hoben sich vor dem großen Fenster ab. Ich wollte rufen: „Sophie, pass auf, da ist jemand!“ Aber die Geräusche, die aus meinem Mund kamen, klangen eher nach einem hysterischen: „Wooouuuu!“

Sophie blickte auf, sah die Gestalt ebenfalls, sprang von der Tür zurück und prallte gegen mich, so dass wir beide stolperten und der Länge nach hinliefen. An einem anderen Ort, in einer anderen Situation hätte ich vielleicht genossen, wie sich Sophies Körper an meinen schmiegte, als sie sich hochrappelte und ziemlich panisch über die Schulter blickte. Ich hab die Augen auch nicht von der Gestalt gelassen. Und je länger ich in das Zimmer sah, desto merkwürdiger kam mir das ganze vor – die Gestalt hatte offensichtlich keine Beine, sondern stand auf einem schmalen Stab und bewegte sich so gar nicht. Und da erkannte ich, was es war. Ich musste lachen. Sophie beendete ihre Versuche, gleichzeitig nach hinten zu sehen und aufzustehen, was auch wirklich nicht gut funktionierte. Stattdessen schaute sie mich kurz etwas irritiert an, dann machte es auch bei ihr „Klick“, sie setzte sich kerzengerade auf mich, stemmte die Arme in die Hüften und fragte: „Na, was ist so lustig, Grufti?“

Ich hab sie einige Sekunden nur angeschaut. Da war wieder so ein Moment, wo das Licht des Mondes, ihre Hexenkraft und vielleicht auch der Sauerstoffmangel in meinem Gehirn aufgrund des Gewichtes einer Person im Bereich meiner Magengegend mir vorgaukelten, dass da eine wunderschöne Elfe auf mir saß. Mit in die Hüften gestemmten Armen zwar, aber dennoch ziemlich schön.

„Wir haben uns vor einer Kleiderpuppe erschreckt! Wenn das nicht peinlich ist“, hab ich gesagt. Sie hat auch gegrinst und gemeint: „Ja, irgendwie schon. Und deshalb wird niemals jemand davon erfahren!“

„Nee, erfährt niemand. Schon daher, weil wir hier nicht mehr lebend rauskommen!“ war meine geistreiche Antwort. Und wie zur Bestätigung krachte mit einem Mal etwas – oder jemand – von innen an eine der geschlossenen Türen im hinteren Teil des Flures. Und da war es wieder: Dieses geisterhafte Heulen.

In Sekundenbruchteilen waren wir aufgesprungen und – schon wieder – fluchtartig aus dem Haus raus, durchs Hoftor und zwei Straßen weiter. Dort blieben wir erstmal wieder völlig außer Atem stehen.

„Verdammt, Sophie, warum bist du losgerannt? Wir wollten uns den Geist doch ansehen!“ fing ich an, Sophie zu ärgern.

„Reflex. Klang nicht so freundlich der Geist. Aber warum bist du hinter mir her? Hättest ja auch bleiben können!“ fragte sich zurück. Da war er wieder. Dieser Schlagabtausch mit Worten. Da waren wieder die Arme in den Hüften. Der schräge Kopf. Das verschmitzte Lächeln. Verdammt.

„Reflex“, sagte ich. „Musste doch bei dir bleiben und dich beschützen!“

„Na dann. Bleib mal bei mir und beschütze mich bis daheim. Ich will weg von hier und in meine vier Wände.“

Und so gingen wir also weiter. Im Schlenderschritt diesmal, scherzend, uns zwischendurch immer mal wieder umschauend – nur, um sicher zu gehen, dass wir nicht von verhexten Schaufensterpuppen verfolgt wurden. Ich hielt Sophie das Gartentörchen auf, lies sie eintreten und folgte ihr bis zu ihrem Zimmer. Haus. Zu dem Wohnwagen ohne Räder halt.

Sophie kramte ihre Schlüssel raus, zögerte und schaute mich an. Sie sagte: „Bevor das hier so ein peinlicher Moment wie in einer beliebigen Romantik-Schmonzette wird frag ich lieber gleich: Magst du noch mit reinkommen?“

Mein Herz machte einen Hüpfer. Mein Gesichtsausdruck blieb so cool wie immer. Bilde ich mir auf jeden Fall gerne ein. „Klar“, meinte ich. „Hast du was zu trinken?“

Hatte sie. In einem Miniaturkühlschrank. Wo auch sonst. Das Zimmer war schon beeindruckend. Es war fast schon sowas wie eine Miniaturwohnung – tausend kleine Kniffe waren angewandt worden, um den geringen Raum so gut wie möglich zu nutzen. Sophie schaltete eine Stehlampe ein und zündete eine Kerze an. Ich sah mich um. Der Raum war höher als erwartet. Auf der rechten Seite der Tür führten ein paar Stufen auf ein Hochbett, das die gesamte Breite des Raumes einnahm. Schmale Fenster lieferten sicher einen grandiosen Blick beim Aufwachen. Man durfte wohl nur nicht aus Reflex aufstehen – sonst haute man sich die Birne sicher gehörig an der Decke an. Die Treppe war gleichzeitig ein Schrank und unter dem Bett war eine Sofaecke mit kleinem Fenster, Fernseher und Stereoanlage eingerichtet. Auf der linken Seite des Raumes stand ein Schreibtisch an einem großen Fenster. Die Wände waren mit Regalen und kleinen Hängeschränkchen und Gemälden vollgepflastert. Ein System schien dem ganzen nicht zugrunde zu liegen. Es sah aus, als wäre ein Schrank, ein Regal, ein gerahmtes Bild nach dem anderen an den nächstbesten verfügbaren Platz genagelt worden, bis die Wände voll waren. Und dieses Chaos sah hinreißend aus.

Ich sah mir die Gemälde an – von der Bleistiftzeichnung bis zum Aquarell und Ölgemälde war alles dabei.

„Sind die von dir?“ fragte ich.

„Ja. Die haben sich so angesammelt die letzten Jahre“, sagte Sophie. Sie stand nun doch etwas verlegen mitten im Raum und wusste nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Ich glaube, bis zu diesem Zeitpunkt war ich der erste männliche Besucher in ihrem Reich. Vielleicht sogar der erste Besucher überhaupt – außer ihren Eltern.

„Magst du dich setzen?“ fragte sie schließlich.

„Ja, klar“, hab ich gesagt und mich auf das Sofa gesetzt. Sophie hat sich neben mir im Schneidersitz in die Kissen sinken lassen.

„Also, dann danke schön erstmal fürs Beschützen und so. Nur, wie garantierst du jetzt, dass die Geister, die wir riefen, nicht heute Nacht kommen und mich auffressen?“

Tja, was sagt man da. Sowas wie „Baby, mach dir keine Sorgen – ich werde die ganze Nacht vor deiner Tür Wache stehen!“ wäre eine Möglichkeit gewesen. Oder: „Ich bleib einfach hier und schmeiß mich den Geistern zum Fraße vor, dann kannst du wegrennen!“

Aber so etwas fällt einem immer erst hinterher ein. Stattdessen hab ich ein bisschen verlegen auf den Boden geschaut und lächelnd mit den Schultern gezuckt.

„Tja“, hat sie gesagt. „Das klingt aber nicht sehr überzeugend. Kann ich dann wenigstens mal die Bilder sehen?“

Also haben wir uns zusammen die Fotos auf dem kleinen Display der Digicam angeschaut. Da musste Sophie natürlich etwas näher rutschen und unsere Köpfe haben sich fast berührt. Da hab ich wieder die Erdbeeren gerochen. Shampoo, wie ich heute weiß. Meine langen schwarzen Haare sind immer mal wieder hinterm Ohr vorgerutscht und haben sich in Sophies Blickfeld geschummelt. Beim dritten Mal hat sie die Haarsträhne mit strengem Blick geschnappt und gemeint: „Schneid dir diese Zotteln doch einfach mal ab!“

„Oh nein, das bestimmt nicht. Da steckt ne Menge Wachstumszeit drin – mit einem Schnitt wäre die zum Teufel. Nee, nee, Fräulein, die Haare sind heilig!“

„Du würdest aber besser aussehen mit kurzen Haaren. Oder wenigstens mit ner Frisur!“

„Nee, würd ich nicht. Du kennst die Fotos von mir nicht, die vor meiner Gruftizeit gemacht wurden!“ Meine Empörung war halb gespielt und halb echt.

„Würd ich aber gern mal sehen“, hat sie gesagt.

„Tja, die sind leider in einem Hochsicherheitstrakt eingeschlossen, wo sie niemals wieder ein Mensch zu Gesicht bekommen wird!“

„Ich bezahle dafür…“, hat Sophie gesagt und überlegt. „Wie wärs mit einer Edelstein-Gesichts-Massage?“

„Eine was?“ Ich war nicht die hellste Kerze am Christbaum in dieser Nacht.

„Na gut, dann nicht – überlegs dir“, hat sie gesagt und mir zugezwinkert. Dann hat sie mich nochmal von oben bis unten angeschaut und gemeint: „Schwarz macht dich blass!“

„Ja, das soll es ja auch!“ hab ich gesagt. „Du klingst übrigens wie meine Eltern. Weißt du das?“

„Cool“, hat sie gesagt. „Dann bin ich ja doch spießiger als ich dachte!“

So gings dann weiter. Wir haben viel gelacht und uns geärgert. Sie hat dann irgendwann gefragt:

„Wie ist denn deine Naturhaarfarbe?“

„Naja, auch schwarz. Aber halt nicht so dunkelschwarz. Mehr so schwarz mit nicht tolerierbarem Braunanteil…“

„Hmm…“ Sophie hat überlegt. „Steht dir sicher besser. Dieser Blaustich in deinen Haaren irritiert mich.“

„Nee, das steht mir genauso wenig wie die kurzen Haare.“

„Glaub ich nicht!“ Da waren wieder die Arme in den Hüften und der schräge Kopf.

Ich seufzte: „Na gut, überzeugt. Du darfst die Fotos mal sehen – und dann wirst du mir zustimmen und du wirst nie wieder was zu dem Thema sagen!“

„Um was wetten wir?“ hat Sophie gefragt.

„Hmm, lass mich überlegen… Wenn du mir zustimmst, dann hab ich gewonnen und krieg ein handgemaltes Portrait von dir!“

„Von dir oder von mir?“

„Na von dir von mir. Logisch.“

„Völlig“, hat Sophie gelacht. „Und was, wenn ich dir nicht zustimme. Dann gewinne ich. Was krieg ich dann?“

„Dann schreib ich dir ein Gedicht.“

Sophie hielt kurz inne.

„Oh“, sagte sie. „Du schreibst Gedichte? Da wär ich nicht drauf gekommen…“

„Ich bin eben vielschichtig!“ hab ich gesagt.

„Ja, aber nicht bei der Farbwahl, richtig? Da bist du eher einschichtig…“

„Ganz genau! Ich bin schwarz und bleibe schwarz. Das wird sich nie wieder ändern!“ hab ich im Brustton der Überzeugung getönt. Sie hat mich angeschaut, kurz geseufzt und mir dann ziemlich ernst in die Augen geschaut:

„Paul, sag mal, ganz ehrlich… Warum fürchtest du dich vor Veränderungen?“

Das kam überraschend. Und ich hab nur gefragt: „Wie meinst du denn das schon wieder?“

„Naja, schau mal – ich habs mit meinen Eltern echt nicht immer leicht. Bei uns verändert sich ständig was. Die Berufe meiner Eltern, die Lebenspläne, die Wohnorte, die Wohnarten“, sie deutete in ihrem Zimmer herum. „Ich hab ständig mit Veränderungen gelebt. Und nie ist etwas Schreckliches passiert. Und alle anderen, denen ich so begegne, haben irre Angst vor Veränderungen. Also – warum?“

„Hmm, gute Frage.“ Ich musste tatsächlich nachdenken. „Vielleicht, weil alles gut ist, wie es ist?“

„Und wenn es nach einer Veränderung noch besser ist?“ fragte sie.

„Und was, wenn es das nicht ist? Was, wenn danach alles schlechter ist? Dann ärgert man sich über die Veränderung.“

„Das ist ganz schön spießig, Paul. Das willst du doch eigentlich gar nicht sein, oder?“

„Und du bist eine Träumerin, Sophie.“

„Ja, kann sein. Aber das ist auch gut so, weil ich das sein will. Aber du bist ungewollt ein Spießer. Wie deine Eltern. Nur anders!“

„Warum denn das?“ hab ich gefragt. Und war ehrlich neugierig und gespannt auf die Antwort. Jeden anderen hätte ich für diese Aussage übrigens auf Lebenszeit gehasst.

„Schau mal – du willst Sicherheit. Aber dabei vergisst du, dass dir vielleicht vieles entgeht. Wenn du immer Goth bleibst, dann weißt du gar nicht, wie es ist, etwas anderes zu sein. Ich glaube auch nicht, dass man immer das bleibt, was man gerade ist. Das Leben ändert sich ständig. Und damit auch deine Sichtweise. Heute bist du Grufti – und morgen vielleicht Bausparer!“

Ich hab gelacht und gesagt: „Und du bist und bleibst eine Hexe!“

Sie hat mich mit gespieltem bösem Blick angeschaut, ihren Zeigefinger auf mich gerichtet und gesagt: „Das stimmt! Und dich verfluche ich auf Lebenszeit, auf dass du niemals bleibst, was du bist, weil du sonst nie erfährst, was du noch so sein könntest!“

Ich schwörs euch, in diesem Moment hätten wir uns das erste Mal geküsst. Aber dieser durchdringende Geruch, der schon die ganze Zeit unterschwellig da war, aber irgendwie von uns ignoriert wurde, war nun so stark, dass wir gleichzeitig unsere Nase rümpfen mussten und uns suchend umschauten und uns gegenseitig fragten: „Was stinkt denn hier eigentlich so?“

Sophie zeigte angeekelt auf meine Schuhe: „Ihh, Paul, du hast Hundekacke an deinen Schuhen – warum hast du deine Schuhe nicht draußen ausgezogen?“

„Ähh, naja, ich hab nicht dran gedacht. Ich bring die Schuhe wohl besser mal raus, oder?“

„Ja, das wär wohl besser“, hat sie gesagt. Und dann nach kurzem Überlegen noch gemeint: „Vielleicht gehst du besser heim, oder? Und wir sehn uns morgen wieder in der Schule?“

Ich war ein bisschen enttäuscht. Aber der magische Moment war irgendwie sowieso vorbei. Und was ich erwartet hatte, was noch so passieren würde, wusste ich eigentlich selbst nicht. Also hab ich Sophie zum Abschied kurz gedrückt, ihren Erdbeerduft eingeatmet und mich theatralisch verbeugt: „Darf ich also darum bitten, dass mich Eure Majestät für den Rest der Nacht von meiner Aufgabe entbindet?“

„Ihr dürft. Habt Dank und gehabt Euch wohl!“ hat Sophie gekichert. „Findest du raus?“

„Klar“, hab ich gesagt. „An der nächsten Hanfpflanze links – ganz einfach!“

Die Nacht war kurz. Die erste Stunde hab ich fast komplett verpennt. Bus verpasst. Ein guter Wochenanfang alles in allem also. Trotzdem hab ich mich darauf gefreut, Sophie wieder zu sehen. Frisch wie der junge Morgen saß sie schon auf ihrem Platz, als ich komplett übermüdet und zu spät ins Klassenzimmer gestolpert kam. Aber da ich trotz meines merkwürdigen Äußeren ein recht begabter Schüler war, nahm man mir solche Kleinigkeiten nicht weiter übel. Ein tadelnder Blick auf die Uhr über den Rand ihrer Lesebrille war so ziemlich die einzige Reaktion von Frau Lindner als Reaktion auf mein „Tschuldigung, hab verschlafen!“

Sophie hat mich angelächelt, nachdem ich mir den Weg zu meinem Platz erkämpft hatte.

„Na“, hat sie geflüstert. „Schuhe gewaschen?“

„Nee, neue angezogen!“ hab ich mit Augenzwinkern geantwortet und meinen Rucksack hingestellt. Als ich mich setzen wollte, ist irgendwas in meinem Kopf passiert. Ich hab plötzlich Bilder gesehen. Eins und Eins zusammen gezählt. Klar gesehen.

„Paul, willst du dich nicht setzen?“ fragte die Stimme von Frau Lindner, die mich misstrauisch anschaute.

„Um ehrlich zu sein…“ Ich hab kurz gezögert. „Um ehrlich zu sein, nein! Ich, äh, muss los!“

Die Worte kamen ganz automatisch, ich hatte den Rucksack schon wieder auf und war schon auf halbem Weg durchs Klassenzimmer Richtung Tür.

„Das war aber ein kurzer Besuch. Was soll ich denn ins Klassenbuch schreiben?“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie noch ein Klassenbuch führen?!“ Ich war tatsächlich überrascht. Zum Glück hatte Frau Lindner so eine gewisse Art Humor und die Gabe, Dinge nicht ganz so eng zu sehen. Sie sah mich weiter fragend an.

„Migräne, Frau Lindner!“ Auch sie hat ein Augenzwinkern von mir bekommen. Und sie hat gleichzeitig geseufzt und gelächelt und ein wenig die Augen verdreht. Da erst fiel mein Blick wieder auf Sophie, die mich fragend von ihrem Platz aus ansah. Wie der Rest der Klasse, der sich wohl wie das unfreiwillige Publikum eines Theaterstückes vorkam.

„Äh, und vielleicht sollte Sophie mich begleiten. Man weiß ja nie, vielleicht kipp ich ja um oder so. Wär vielleicht nicht so verantwortungsvoll, mich alleine gehen zu lassen!“

Zu meiner großen Verwunderung ist Sophie ohne weitere Fragen aufgestanden, hat ihre Jacke und ihren Rucksack gepackt und ist mir gefolgt. Zusammen sind wir aus der Tür gestürzt, eine jetzt doch etwas perplexe und stirnrunzelnde Lehrerin und einen Haufen debil grinsender und zweideutige Scherze machender Mitschüler hinter uns lassend. Einer hat sogar applaudiert.

Wir rannten durch die Gänge.

„Paul, was ist denn los!“ keuchte Sophie hinter mir.

„Du wolltest doch eine Seele retten!“

„Ja, und?“

„Dann machen wir das jetzt, so schnell wie möglich, wenn wir noch nicht zu spät sind!“ Jetzt keuchte auch ich.

„Paul, was meinst du denn damit?“ Sophie kam außer Atem neben mir an der Bushaltestelle zum Stehen.

„Wann kommt der nächste verflixte Bus?“ fragte ich einfach nur.

„In zehn Minuten“, sagte Sophie ohne nachzudenken. Ein Spleen von ihr. Fahrpläne, Stundenpläne, Wochenpläne. Alles auswendig im Kopf.

„Gut, ok, dann warten wir noch kurz und ich kann dir auf die Sprünge helfen!“ Ich setzte mich auf die Bank an der Haltestelle.

„Also, pass auf! Zwei Dinge. Erstens, das eine Foto aus dem Flur direkt hinter der Haustür. Wir haben es überblättert, weil es uninteressant war. Aber das war es gar nicht. Es war sogar sehr interessant. Denn da stand etwas im Flur. Zweitens, ich bin in Hundekacke getreten. Das kann überall passiert sein. Es kann aber auch auf dem Grundstück der Alten passiert sein. Was zu Erstens passen würde, denn im Flur stand… na, was?“

Sophie dachte nach. Dann sagte sie wie in Trance: „Im Flur stand ein Hundenapf!“

Und die Erkenntnis traf auch sie. Sie schaute mich entsetzt an.

„Aber, das bedeutet ja, dass…“

„Ja, dass wir eine Seele retten müssen, die hoffentlich noch am Leben ist!“

Sophie ist aufgesprungen und hat sich umgeschaut. Und manchmal gibt es ja Zufälle, die man einfach der göttlichen Fügung des Universums zugutehalten muss. Denn in diesem Moment bog ein Taxi um die Ecke.

„Paul, wieviel Geld hast du dabei?“ fragte Sophie, während sie das Taxi schon zu uns heranwinkte.

„Zehn Euro oder so“, hab ich gesagt.

„Gut.“ Sie überlegte. „Ich hab auch noch was. Das reicht. Wir fahren mit dem Taxi direkt vor die Villa!“

Dort waren wir dann kurze Zeit später auch. Und schon von weitem konnten wir sehen, dass ein Auto in der Einfahrt parkte. Ein teures Auto. Das war mehr als merkwürdig. Ein dicker Mann mit Bierbauch, Schnauzbart und Goldkette um den Hals kam gerade aus der Haustür und war im Begriff, die Tür mit einem der Schlüssel an seinem großen Schlüsselbund abzuschließen. Jetzt sah ich auch das große „Zu verkaufen“-Schild am Hoftor. Und hinter sämtlichen Fensterscheiben im Erdgeschoss konnten wir ebenfalls solche Schilder sehen. Sinnloserweise natürlich, denn das Erdgeschoss konnte von außen keiner einsehen. Aber der erste Stock war wohl zu beschwerlich für den Dicken gewesen. Die Aufschrift auf seiner Luxuskarre bestätigte die naheliegende Vermutung. Ein Immobilienhai! Verzeihung. Ein Immobilienmakler.

„Hey, hallo, entschuldigen Sie“, begann Sophie. „Waren Sie auch im ersten Stock und haben den Hund gerettet?“

Der Dicke schaute nur misstrauisch.

„Hund, was für ein Hund?“

„Die alte Dame hatte einen Hund, der ist oben eingesperrt, wir müssen ihn rausholen“, hab ich halb gesagt und halb geschrien. Dass ich in solchen Momenten nicht cool bleiben kann nervt mich tierisch.

„Was redet ihr denn da? Die hatte doch keinen Hund. Die Frau war gar nicht mehr zurechnungsfähig und schon lange entmündigt von ihrem Neffen. Ein Pflegedienst hat sich um sie gekümmert, weil sie sich geweigert hat, in ein Heim zu gehen. Also macht, dass ihr wegkommt!“

Das konnten wir natürlich nicht zulassen. Ich hab gesagt: „Gut, ok, aber wenn sie keinen Hund hatte, was macht dann der Hundenapf im Flur?“

Ich bemerkte den Fehler erst, als der Dicke mich mit gerunzelter Stirn und forschendem Blick fixierte.

„Aha, dann habt ihr also hier eingebrochen. Die Fenster hab ich alle zugemacht und wenn ich rausfinde, dass irgendwas aus dem Haus fehlt, dann könnt ihr euch auf was gefasst machen! Der Neffe kommt nachher und sichtet seine Besitztümer!“

„Aber wir müssen jetzt sofort da rein und den Hund holen“, hab ich geschrien. Sophie hatte sich bis zu diesem Moment recht ruhig verhalten. Und jetzt fing sie an zu schniefen, ihr Gesicht in ihren Händen zu vergraben und hemmungslos zu heulen. Dem Dicken wurde das sichtlich unangenehm. Sophie heulte noch lauter. Mister Schnauzbart blickte sich nervös um.

„Hey, hey, ist doch gut, ich habs ja nicht so gemeint“, sagte er und kam näher, um Sophie unbeholfen an der Schulter zu tätscheln. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hörte Sophie auf zu flennen, blickte dem Dicken ins Gesicht und schnappte sich derweil den Schlüsselbund, warf ihn mir zu und trat Walross-Heini herzhaft in die Körpermitte. Völlig überrumpelt und mit schmerzverzerrtem Gesicht ging Goldkettchen in die Knie.

Sophie schlenderte zu mir rüber und meinte nur: „Welcher Schlüssel wird wohl zur Haustür passen?“

Ich war sprachlos.

„Sophie, du hast dem in die Eier getreten. Das gibt Ärger!“

„Er hat mich angefasst. Hast du doch auch gesehen, oder?“ fragte sie mit einem Augenzwinkern. „Übrigens: Du bist immer noch ein Spießer. Die Eier da werden schon wieder. Aber für den Hund geht’s jetzt um jede Sekunde!“

Wir fanden den Schlüssel, stürzten ins Haus, fegten die Treppe nach oben und rissen die Tür auf, hinter der wir in der letzten Nacht die Geräusche gehört hatten. Und da lag er.

Wir waren wohl gerade noch rechtzeitig gekommen. Ein mittelgroßer Mischlingsrüde, wie man ihn später in der Tierklinik kategorisierte, lag mitten im Raum und hob den Kopf, als wir in das Zimmer stürmten und schaute uns aus großen Augen an. Er richtete sich langsam auf und verzog sich mit zitternden Beinen und eingezogenem Schwanz in einer Ecke des Raumes.

„Er hat Angst“, stellte Sophie treffend fest. Ich verkniff mir mein „Ach nee, was du nicht sagst!“

Und während Sophie den kleinen Kerl mit schmatzenden Geräuschen und an Kindersprache erinnernden Satzbruchstücken zu locken versuchte, sah ich mich um. Wir waren in einer Art Hundezimmer. Hier war nichts, was nicht für Hunde war. Da waren Bettchen, Spielzeuge, zwei leere Näpfe, Decken, zerfetzte Kissen und und und. Leider auch Kacke und Pisse, was dem Zimmer etwas die Gemütlichkeit nahm. Ich schnappte mir einen der Näpfe, ging in den Flur, suchte das Badezimmer und füllte den Napf mit Wasser. Als ich in das Hundezimmer zurück kam, war Sophie gerade dabei, dem Hund das Kinn zu kraulen. Als ich eintrat, schreckte er zurück und verzog sich wieder in seine Ecke.

„Du hast ihn erschreckt!“ Sophie sah mich vorwurfsvoll an.

„Ja“, sagte ich. „Das bin ich gewohnt. Kinder, alte Menschen und Hunde erschrecken vor mir. Aber dafür bring ich ihnen Wasser!“

Ich stellte den Napf auf den Boden und verzog mich Richtung Tür und verhielt mich still. Schnüffelnd und vorsichtig kam der Kleine Richtung Napf getapst, roch misstrauisch am Wasser und begann dann, zu trinken. Sophie setzte sich neben ihn und kraulte ihm den Rücken. Nachdem er mit großem Geschlabber den Napf geleert hatte, setzte sich der Hund hin und sah von einem zum anderen.

„Sie“, sagte ich und zeigte auf Sophie. „Meine Eltern drehen mir den Hals um, wenn ich mit dir heimkomme. Nimm sie!“

Sophie lächelte und meinte: „Das war doch sowieso klar. Hunde haben schließlich Angst vor dir!“

Wir hörten Geräusche von unten. Mehrere Stimmen waren im Haus zu hören. Sophie schnappte sich den kleinen Kerl, nahm ihn auf den Arm und wir gingen schnell die Treppe hinunter. Wir liefen dem Dicken und einem anderen, kleineren, dünneren und irgendwie scheu aussehenden Kerl direkt in die Arme.

„Hey, ihr, da seid ihr ja! Das wird teuer, oh, das wird teuer!“ schnauzte der Dicke uns keuchend an.

„Klaus, mach mal langsam, ich mein, wir wollen doch hier keinen Aufstand machen“, sagte der Dünne mit noch dünnerer Stimme. Und dann fast im Flüsterton: „Was macht ihr denn hier im Haus meiner Tante?“

„Wir haben…“, begann ich, aber Sophie schnitt mir das Wort ab.

„Wir müssen uns hier nicht rechtfertigen. Sie wohl schon eher. Wir wissen nichts von einem Neffen. Die alte Frau Petersen hatte keine Verwandte. Mir scheint, sie wollen sich hier unrechtmäßig bereichern. Vielleicht sollten wir die Polizei holen. Und der da“, sie zeigte auf den Dicken, „der hat mich angefasst!“

„Was? Ich versteh gar nichts mehr“, stotterte der Dünne. „Ich bin ja nicht der richtige Neffe. Aber ich hab sie halt Tante genannt. Tante Leni. Von früher. Sie hat mir alles vererbt. Ich hab das Testament. Ihr könnt es sehen, wenn ihr wollt!“

„Nix da“, schaltete sich Goldkettchen ein. „Lass dich von den Gören nicht kirre machen, Heiner. Die sind hier eingebrochen!“

Sophie war nicht aus dem Konzept zu bringen:

„Wir haben nur unseren Hund geholt. Er ist uns entwischt und hier ins Haus rein. Sie, Klaus, oder wie Sie auch heißen, hatten ja die Tür nicht hinter sich zugemacht, als Sie zum Schilderaufhängen reingegangen sind. Und als wir ihn rausholen wollten, da haben Sie uns daran gehindert. Also mussten wir zu einer Art Notwehr greifen. Oder wo sollte sonst unser Hund hier herkommen? Hier hat doch schließlich kein Hund gelebt, oder?“

„Hund, ich höre nur Hund“, begann der Dünne namens Heiner. „Was für ein Hund?“

„Deine Tante hat wohl einen Hund gehabt. Und den haben sie sich jetzt auch noch geholt!“ schnaubte der dicke Klaus.

„Tante Leni hat doch keinen Hund gehabt! Das hätte sie doch bestimmt gar nicht gedurft. Hätte sie das gedurft? Ich mein, dreimal am Tag kam doch der Pflegedienst und hat nach ihr gesehen. Die hätten doch gemerkt, wenn ein Hund dagewesen wäre.“

„Haben Sie denn nie nach ihr gesehen?“ fragte Sophie. Damit hatte sie den Nerv getroffen. Heiner begann zu stottern.

„Ich, ich konnte doch nicht ständig… Ich hab doch auch meinen Beruf und ich bin ja auch gar nicht der echte Neffe… Ich wollte doch nicht… Ich hab doch nur…“

„Dürfen wir dann jetzt mit unserem Hund gehen?“ fragte Sophie mit engelsgleicher Stimme.

„Natürlich, das ist ja, das ist wohl, das wäre wohl gut…“

Klaus sah ihn entsetzt an.

„Du wirst die Gören doch nicht damit durchkommen lassen, Heiner?!“

„Doch, das werd ich wohl machen Klaus, das ist wohl das beste, das sollte wohl so am besten sein, doch, ich denke schon…“

Wir ließen die beiden Vollpfosten einfach stehen. Was aus ihnen geworden ist – keine Ahnung. Inzwischen hat jemand das Haus gekauft. Aber es wurde noch nichts dran gemacht. Mal sehn, was da die Zukunft so bringt.

Als wir vorm Grundstück auf den Gehweg traten, atmeten wir erstmal durch. Nur kurz, denn die nächste merkwürdige Begegnung ließ nicht lange auf sich warten.

„Bruno, Gott sei Dank!“

Ein junger, weiß gekleideter, schlacksiger, blasser Mann stieg aus einem kleinen, weißen Auto mit Firmenaufdruck und kam auf uns zu.

„Oje, Gott sei Dank geht es ihm gut! Ich bin erst heute wieder aus dem Urlaub gekommen und da haben sie mir gesagt, dass Frau Petersen gestorben ist. Es wusste doch keiner von ihm!“ Er streichelte Bruno, der sich immer noch auf Sophies Arm eingemümmelt hatte und nun mit dem Schwanz wedelte und dem Pfleger vom Pflegedienst „Seniorcare“ die Hand leckte.

„Ähm, und Sie sind?“ fragte ich.

„Oje, oje, ich bin der Pitt. Das ist ja ein schönes Schlamassel! Wenn das jetzt jemand erfährt!“ Pitt sah sich nervös um.

„Pitt. Ich verstehe ja nicht viel von dem, was mir in den letzten Tagen widerfahren ist. Oder sonst im Rest meines Lebens. Aber Sie wussten offensichtlich von dem Hund, richtig?“ fragte ich.

Pitt atmete durch und begann, zu flüstern:

„Ja, Mann. Ich wusste davon. Er ist ihr zugelaufen. Und sie war sich ganz sicher, dass er ein Geschenk von ihrem verstorbenen Mann war. Die beiden hatten früher immer Hunde, aber sie war so alt, sie durfte eigentlich keinen mehr haben. Naja, gedurft hätte sie vielleicht schon, aber es wäre unvernünftig gewesen. Aber dann war er halt plötzlich da und sie hat ihn nicht mehr hergeben wollen. Er war so verwahrlost, weiß der Teufel, wo er herkam, wer ihn ausgesetzt hat. Da hab ich ihn halt toleriert und ihr die ganzen Sachen besorgt. Ich bin ja kein Unmensch. War mit ihm beim Tierarzt, kein Chip, kein Halsband, halb verhungert. Was hätte ich machen sollen? Tierheim hätte ihr das Herz gebrochen. Vor den anderen Pflegern hat sie ihn immer versteckt. Aber Großteils war ja eh ich da. Manchmal ist sie mit ihm in den Garten raus. Aber meistens hab ich das gemacht, wenn ich Dienst hatte. Bin mit ihm Gassi gegangen, hinten auf die Felder raus, das hat nie jemand gemerkt. Oje, oje, was machen wir denn jetzt?“

„Das ist doch ganz einfach. Der Hund war offiziell nie da und er wird auch weiterhin nie dagewesen sein. Er ist jetzt mein Hund und Sie können ihn besuchen, wenn Sie wollen“, sagte Sophie bestimmt. Und ging los. Für sie war die Sache damit klar.

Mir war zwar nicht wirklich alles klar, aber dieses Gefühl war mir irgendwie aus meinem bisherigen Leben nur allzu bekannt. Und es war mir in diesem Moment auch völlig egal. Ich denke mal, dass Frau Petersen vergessen hatte, den einen Napf im Eingangsbereich wegräumen, bevor die grünhaarige Kollegin von Pitt zu ihr kam und den Notarzt geholt hat. Bruno hatte sie in sein Zimmer gebracht. Den Napf übersehen. Vielleicht ging es ihr auch schon nicht mehr gut in dem Moment. Das war dann aber wohl der große glückliche Zufall in dieser Geschichte. Denn ich weiß nicht, ob ich ohne das Foto auf die Lösung gekommen wäre.

Als wir weitergegangen waren und einen verdutzten und immer noch nervösen Pitt zurück gelassen hatten, der sich suchend und verwirrt um die eigene Achse drehte, sagte Sophie:

„Nur Bruno können wir ihn nicht nennen. Das passt nicht. Und ist irgendwie pietätlos.“

„Hmm… Ich wär für Rocky“, meinte ich.

„Ja, klar. Einfallsloser geht’s wohl kaum!“ Sophie war entsetzt. „Nee, was außergewöhnliches muss es schon sein. So ein süßer schwarz-weißer Kerl!“

„Schwarzbunt“, sagte ich.

Sie sah mich fragend an.

„Schwarzbunt ist der. So ist es zumindest bei den Kühen!“

Sie lachte.

„Schwarzbunt. Aha. So wie wir?“ fragte sie.

„Ja, so wie wir!“ Ich grinste.

„Gut, dann wird er Kala-Rangina heißen.“

„Was soll das denn für ein Name sein?“ Ich sah sie fragend an.

„Das ist Hindi und heißt schwarzbunt!“

„Klingt aber ziemlich weiblich“, meinte ich. „Vielleicht können wirs abkürzen und nennen ihn einfach Kalle?“

Sophie lachte.

„Meinetwegen. Kalle. Kurzform von Kala-Rangina, der schwarzbunte Hund!“

Ich war dann in einer der folgenden Nächte noch einmal in der Villa Petersen. Das war nach der Beerdigung, auf der wir natürlich auch unter den wenigen Trauergästen gewesen waren. Allerdings war ich nur im Traum noch einmal dort. Das erste und einzige Mal übrigens, dass ich überhaupt davon geträumt habe. Ich bin da also wieder durch die ganzen Räume geschlichen, die mir so vertraut und gleichzeitig so fremd erschienen, denn im Traum ist natürlich alles immer irgendwie ein ganz klein bisschen anders als in Wirklichkeit.

Auf jeden Fall hab ich da die alte Frau Petersen getroffen. Das war ganz normal in meinem Traum und hat mich nicht verwundert. Sie saß auf ihrer Veranda, als ich durch die großen Glastüren nach draußen getreten bin, die Sonne schien ganz golden, sie hat Tee getrunken. Ihre Klamotten waren irgendwie viktorianisch oder so. Oder wie in so einem Südstaatenfilm. Ich hab keine Ahnung. Nicht sehr logisch, aber im Traum ist eben alles möglich. Neben ihr lag Kalle eingerollt auf den Steinplatten. Aber er hieß noch Bruno. Das war mir klar. Als die alte Dame mich gesehen hat, da hat sie mir mit einer Handbewegung bedeutet, dass ich mich zu ihr an den Tisch setzen sollte. Da war auch noch für eine weitere Person eingedeckt, als ob sie mich erwartet hätte. Hat mich im Traum natürlich auch nicht verwundert.

„Warum bist du hier?“ hat sie mich gefragt.

„Ich möchte Bruno mitnehmen, Frau Petersen!“ habe ich langsam und vorsichtig geantwortet.

„Du kannst gerne Eleonore zu mir sagen. Warum kann ich Bruno denn nicht behalten?“

Ich hab kurz überlegt und dann nur gesagt:

„Du bist tot, Eleonore.“

Sie hat kurz nachgedacht und nur gesagt: „Oh. Das ist natürlich ein Grund. Wird es Bruno bei dir gutgehen?“

„Natürlich. Das verspreche ich.“

Eine Männerstimme war plötzlich aus den Tiefen der Villa zu hören: „Leni, kommst du? Es wird Zeit!“

Eleonore Petersen lächelte: „Ich muss los, mein Mann drängelt schon wieder!“

Da bin ich aufgewacht.

Opa Günther stutze, als ich mit meiner Erzählung fertig war. Ich hab ihm am folgenden Sonntag natürlich alles erzählt. Und mit meinem Traum hatte ich geendet. Sophie war auch dabei, wir saßen draußen in der Herbstsonne und aßen Kuchen mit Schlagsahne. Kalle tobte im Hof mit den anderen Hunden herum. Opa hat Sophie genauso freundlich behandelt wie er mich immer behandelt hat. Mit nordischer Zurückhaltung zwar, aber ohne Vorbehalte, ohne Fragen, ohne Misstrauen. Und er hat mir auch kein einziges Mal „bedeutungsschwer“ zugeblinzelt, hat keinen zweideutigen Kommentar abgesondert und kein schiefes Grinsen aufgesetzt, weil ich mit einem Mädchen bei ihm aufgekreuzt bin. Dafür hab ich ihn schon immer geliebt.

„Was ist, Opa? Stimmt was nicht?“

„Ich wusste gar nicht mehr, dass… Doch, jetzt wo du es sagst. Stimmt. Wir kannten sie alle nur als Leni Petersen. Ich glaube, kein Mensch hat sie jemals Eleonore genannt. Aber so war ihr Name, stimmt. Mensch, das hatte ich ganz vergessen, wär ich nie drauf gekommen!“

Ich hab ja gesagt: In diesen Dingen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!

Tja, das war also meine Geschichte. Das alles ist erst wenige Wochen her. Doch die Menschen haben Eleonore Petersen schon fast vergessen. Aber ich weiß, dass sie in Sophie und mir irgendwie weiterlebt und dass sie von irgendwo her ganz bestimmt ab und zu bei uns vorbeischaut und sich darüber freut, dass es ihrem schwarzbunten Bruno so gut geht. Und ich bin mir außerdem sicher, dass diese Geschichte nicht die letzte merkwürdige Begebenheit gewesen sein wird, die ich mit Sophie erleben werde. Sophie und merkwürdige Begebenheiten ziehen sich nämlich an.

Interessiert daran, wie die Geschichte von Paul & Sophie weiter geht? Es hat nur 8 Jahre gedauert und schon ist die Fortsetzung hier zu lesen: "Regenbogenfarben sind die Geister"

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